Case Management – das Herzstück der Organisation
Wir haben die wichtigsten Aussagen von Michael Monzers Referat zusammengefasst und ihm im Anschluss daran einige weiterführende Fragen gestellt.
Was ist Case Management?
Michael Monzer spricht dann von Case Management, wenn mit nachvollziehbaren Kriterien eine Fallauswahl für den Einsatz des Verfahrens stattfindet und eine umfassende sowie bereichsübergreifende Einschätzung der Problemlagen und Ressourcen unter Berücksichtigung aller relevanten Informationsquellen durchgeführt wird. Daraus werden Ziele und in der Folge Massnahmen in der Hilfeplanung abgeleitet, deren qualitative Umsetzung im Sinne der Zielerreichung in der Leistungssteuerung abgesichert wird.
Case Management – eine Haltung
Ein Case Management ist nicht eine Tätigkeit einer einzelnen Person. Case Management ist eine Haltung in einem System, die richtigen Personen mit den richtigen Steuerungsmassnahmen zu unterstützen, damit sie wieder ihren Platz in der Arbeit und in der Gesellschaft finden und mit den vorhandenen Ressourcen ein Höchstmass an Motivation und Zufriedenheit erreichen. Das bedeutet einen längeren Prozess der Beratung- und Begleitung von Fällen, die nicht angemessen im Rahmen bestehender Routinen und Verfahren unterstützt werden können. Dazu benötigt es ganz viele Akteure.
Umsetzung bei Visana
Bei Visana beispielsweise sind das die Sachbearbeitenden, die anhand der erhaltenen ersten medizinischen Unterlagen die richtigen Entscheidungen treffen und die Prozesse so terminieren und steuern, dass die richtigen Versicherten von einer Steuerung profitieren. Der behandelnde Arzt ist ebenfalls integrierter Bestandteil eines Case-Management-Falles. Das Case Management koordiniert den Wiedereinstieg zusammen mit dem Arzt, ebenso wie mit der Visana-Gesellschaftsärztin, die durch direkte Gespräche und Empfehlungen dem behandelnden Arzt dabei hilft, seine Beurteilung zur Arbeitsfähigkeit besser einzuschätzen und gegenüber der Patientin oder dem Patienten zu kommunizieren.
Ständiges Verbessern als Ziel
Ein Case Management ist als Organisation zu verstehen, in der viele Personen aktiv mitarbeiten. Diese Organisation muss ständig verbessert und angepasst werden. Sie ist sozusagen das Herzstück der gesamten Organisationseinheit und kann nicht an Dritte übertragen oder ausgelagert werden. Bei der Weiterentwicklung von Case Management ist es wichtig, die einzelnen Problemlagen zu erkennen und die richtigen Akteure miteinzubeziehen. Zudem ist es zentral, bei der Arbeit auf Fallebene auch die Prozesse im Auge zu behalten und diese wo nötig anzupassen.
Interview: «Das Schweizer Case Management ist oft von Einzelinitiativen geprägt»
Wie haben Sie den bisherigen Austausch mit Visana erlebt?
Michael Monzer: Bei unseren Terminen war ich jedes Mal erstaunt, wie viel Case-Management-Verständnis bereits vorhanden war. Man könnte glauben, dass durch den Versicherungskontext viele Ziele für die individuelle Fallarbeit bereits vorgegeben sind und dies die Unterstützungsmöglichkeiten einschränkt. Das war erfreulicherweise nicht so.
Sondern?
Die Case-Management-Fälle der Visana-Versicherten werden bereichsübergreifend bearbeitet, und das erlaubt es, nachhaltigere Lösungen zu entwickeln. Davon profitieren die beteiligten Organisationen und Betriebe mit ihren Strukturen, wenn es nötig ist, alternative Unterstützungsangebote aufzubauen oder anzupassen.
Wo sehen Sie die grössten Unterschiede zwischen den Systemen in Deutschland und der Schweiz?
In Deutschland werden die Steuerungsaufgaben immer häufiger gesetzlich verankert oder an öffentliche Stellen gebunden. Dies hat zwar den Vorteil, dass verbindliche Ansprüche auf ein Case Management entstehen, aber die Umsetzung wird dadurch oftmals stark reguliert.
Und bei uns?
Das Case Management in der Schweiz hängt stark von seiner jeweiligen Ansiedlung ab. In Versicherungsunternehmen kann es zu einem bestimmenden Faktor in der öffentlichen Gesundheitsversorgung werden – wenn es mit einem arbeitsbereichsübergreifenden Anspruch eingesetzt wird. Ähnliches gilt für die Spitäler. Häufig erscheint mir das Case Management in der Schweiz von Einzelinitiativen geprägt, sodass im regionalen Bereich noch ungenutzte Entwicklungspotenziale bestehen, die ich vor allem bei kommunalen Beratungsstellen und im Spitex-Bereich sehe.
Was kann Visana vom deutschen System lernen?
Die politischen Initiativen in Deutschland für einen verstärkten Einsatz von Case Management sind derzeit besonders vom Ansinnen geprägt, die Prozesse der beteiligten Organisationen, also der Krankenhäuser und der Pflege, stärker aufeinander zu beziehen. Es wird zunehmend seltener von Schnittstellen gesprochen, vielmehr steht die Prozessintegration im Vordergrund, die mehr Anpassung von den beteiligten Organisationen einfordert.
Das bedeutet?
Ich sehe für das Case Management von Visana interessante Potenziale in der fallübergreifenden Systemintegration, zum Beispiel bei der stationären und ambulanten Versorgung, die sich aus den Einzelfällen im Case Management lernend ableiten lassen.
Zur Person
Professor Michael Monzer (Jahrgang 1957) arbeitete bis Ende 2021 als Projektmanager, Sozial- und Projektplaner beim Sozialamt Stuttgart. Als Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) ist er mitverantwortlich für die Entwicklung der standardisierten Case-Management-Weiterbildung der DGCC. Ebenso ist er Mitautor der Rahmenempfehlungen und Ethikstandards für das Handlungskonzept des Case Management. Als zertifizierter Case-Management-Ausbilder lehrt er seit 2003 an verschiedenen Instituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. www.monzer.de